Page 6 - Journal 9 Oktober 2018
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MENSCHEN & KULTURGESCHICHTE

Der Friedhof von Lienz:

Geschichten von Leben und Tod

    Der Tod ist ein Teil des Lebens. Wo Menschen leben, wird gestorben. Und die Toten werden nicht vergessen, sondern
    bleiben im Gedächtnis. Ihre Grabstätten sind Symbol für diese Verbundenheit über den Tod hinaus. Friedhöfe gehören
    daher in unserem Kulturkreis seit langer Zeit auch zu einem überlieferten Kulturgut. Dies gilt auch und in besonderem
    Maße für den Lienzer Stadtfriedhof. Aus Anlass des bevorstehenden Allerheiligen- und Allerseelen-Festes unternahmen
    wir einen Spaziergang durch den städtischen Friedhof bei der Lienzer Stadtpfarrkirche St. Andrä.

           Schon die Römer, die 15 vor Christus auch die    lichen Glaubens legten sie die Friedhöfe aller-
           inneralpinen Gebiete ihrem Herrschaftsgebiet     dings rund um ihre Kirchen, also möglichst
           einverleibt hatten, legten ab dem 2. Jahrhun-    nahe an den heiligen Stätten, an. Dies hatte
           dert nach Christus ihre Toten in Erdgräbern zur  auch einen theologischen Zusammenhang:
           Ruhe. Die Friedhöfe befanden sich außerhalb      Der Verstorbene wird, so die christliche Ver-
           der Städte entlang von Straßen, die Grablegun-   heißung, am Jüngsten Tag auferstehen. Wenn
           gen erfolgten nach bestimmten Ritualen. Es       er sein Grab verlässt, sollte er möglichst nahe
           war naheliegend, dass auch die ersten Christen   beim Herrn sein. Der alte Begriff „Gottesacker“
           ihre Toten in Gräbern bestatteten und die Grä-   bringt diesen tieferen Sinn zum Ausdruck.
           berfelder „einfriedeten“ – daher auch der Name   Christliche Friedhöfe waren deshalb von Be-
           „Friedhof“. Aus dem Verständnis ihres christ-    ginn an „loco sacri“, also „heilige Orte“. Sie

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