Page 6 - Journal 8 Oktober 2019
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MENSCHEN & FORSCHUNG
Klimaänderungen während der „Klei-
nen Eiszeit“ natürlichen Ursprungs
und dass die Hauptverursacher große
Vulkaneruptionen waren. Der men-
schengemachte Klimawandel setzte
erst später – ab der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts – allmählich ein.
Sie forschen mit Ihrem Team in Höhlen quer über den Wie sehen Sie den kontinuierlichen
Erdkreis. Was hat es mit den „Speläothemen“ auf sich? Temperaturanstieg, der allerortens
Im Untergrund spielen Erosionsprozesse, die Spuren an bemerkbar ist?
der Oberfläche oft bereits nach kurzer Zeit verwischen, nur Ich beobachte diese Entwicklung seit
eine sehr untergeordnete Rolle. Aus diesem Grund kann nunmehr einigen Jahrzehnten mit
man in Höhlen viele Klimaspuren entdecken, denn dort ist Sorge. Es geht dabei jedoch nicht nur
die Zeit gewissermaßen „stehen“ geblieben. Speläotheme alleine um den offenkundigen Anstieg
sind ein Überbegriff für Tropfsteine, also für mineralische der Lufttemperatur. Das Klimasystem
Ablagerungen aus Wasser, das, von der Erdoberfläche ist innig vernetzt und in hohem Grad
kommend, durch das Gestein sickert. Meine Leute und ich nicht-linear. Aus der Erfahrung der
forschen mittlerweile in Höhlen bzw. mit Probenmaterial Foto: Robbie Shone langfristigen Klimavergangenheit wis-
aus Höhlen aller Kontinente mit Ausnahme der Antarktis. sen wir, dass solche Systeme, wenn
Dabei arbeiten wir hauptsächlich mit Stalagmiten, deren sie gestört werden, durchaus mit unerwarteten Mustern
innerer geschichteter Aufbau an die Jahresringe eines reagieren können. Ein kürzlich verstorbener US-amerika-
Baumstammes erinnert, nur, dass diese aus Kalzit be- nischer Wissenschaftler hat das Klimasystem einmal mit
stehen und oft um ein Vielfaches älter sind als selbst die einem wilden, verärgerten Tier verglichen, das wir Men-
ältesten Holzreste. Speläotheme sind je nach Klimaregion schen mit Stöcken reizen. Ich denke, dieses Bild drückt
sensitiv für Temperatur oder Niederschlag und fungieren sehr gut aus, worum es geht.
gewissermaßen als Thermometer bzw. Regenmesser der
Vergangenheit. Besteht die Chance, diese Entwicklung überhaupt
noch zu stoppen?
Warum sind die Eishöhlen in den österreichischen Ja, die Chance lebt, die Frage ist allerdings die Zeitskala.
Ostalpen für Sie von besonderem Interesse? Wir wissen, dass es – selbst wenn die Menschheit morgen
Der Fokus unserer Forschungsgruppe liegt auf dem Alpen- alle Emissionen treibhausaktiver Gase beenden würde –
raum, und Höhlen mit Dauereis sind ein Aspekt unserer viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dauern würde,
aktuellen Arbeit. Mir persönlich ist dies sehr wichtig, da bis die Erde zu einem ähnlichen Zustand wie vor Beginn
uns das besondere Archiv „Höhleneis“ in den letzten Jahr- des 20. Jahrhunderts zurückkehren würde.
zehnten gleichermaßen unter den Fingern wegschmilzt
und zukünftige Generationen diese Untersuchungen ver- Gibt es, abgesehen vom Verursacherprinzip, einen
mutlich nicht mehr machen werden können. Unterschied zwischen einem natürlichen und dem vom
Menschen verursachten Klimawandel?
Stichwort „Wegschmelzen des Eises“: Wann spricht Die Physik ist dieselbe, und diese ist seit mehr als einem
man von natürlichen und ab wann von vom Menschen Jahrhundert bekannt. Der durch den Menschen ausgelös-
induzierten Klimaveränderungen? te Klimawandel zeichnet sich allerdings durch eine sehr
Es gibt etwa eine Handvoll natürlicher Prozesse, die Ver- hohe Geschwindigkeit aus. Diesbezüglich sollte man auch
änderungen des Klimas verursachen, wobei diese auf ver- nicht jene großen, parallel laufenden anthropogen-indu-
schiedenen Zeitskalen operieren. Ein Beispiel ist etwa die zierten Veränderungen vergessen, wie zum Beispiel Ab-
so genannte „Kleine Eiszeit“ (1250 bis 1850 n. Chr.), die holzungen bzw. Brandrodungen in Indonesien oder Brasi-
sehr gut untersucht ist, da sie gewissermaßen „vorges- lien, die ebenfalls klimarelevant sind.
tern“ geendet hat und es über ihren jüngsten Abschnitt
bereits meteorologische Messwerte gibt. Das Gros der Wis- Warum sind die Alpen besonders „empfindlich“, wenn
senschaftler ist sich heute sicher, dass die zum Teil großen es um Veränderungen des Klimas geht?
Gebirge wie die Alpen, aber auch arktische Regionen wei-
sen die größten Amplituden des rezenten Erwärmungs-
trends auf. Je geringer und kürzer die Schnee- und Eisbe-
deckung, desto mehr kann sich das Land erwärmen. Das
beeinflusst die Strahlungsbilanz – und die Erwärmung
der Luft geschieht ja bekanntermaßen über die langwel-
lige, vom Boden reflektierte Strahlungskomponente. Die
alpinen Ikonen unseres sich rasch ändernden Klimas sind
zweifelsohne die Gletscher. Besonders die kleinen unter
ihnen reagieren sensibel bereits auf wenige Jahre z.B. mit
heißen Badesommern – und viele kleine Alpengletscher
sind ja auch bereits Geschichte.
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