Page 5 - Journal 8 Oktober 2019
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MENSCHEN & FORSCHUNG
Durch seine Arbeiten zur
alpinen Quartärforschung mit
modernen geochemischen
Methoden hat sich Univ.-Prof.
Dr. Christoph Spötl internatio-
nale Anerkennung erworben.
Bahnbrechend ist u.a. seine
Forschung an Speläothemen.
Foto: Adobe Stock/Askolds Was ist das Faszinierende an dem, was quasi
„vorgestern“ passiert ist?
Innsbruck und legte damit Was mich fasziniert, ist die Möglichkeit anhand geologi-
den Grundstein zum Aufbau scher Spuren Rückschlüsse auf die frühere Umwelt und
meiner Arbeitsgruppe. 2004 wurde das Klima ziehen zu können. Welches Wetter z.B. in Lienz
ich zum Universitätsprofessor ernannt. am 4. März des Jahres 8200 v. Chr. herrschte, wird wohl
nie rekonstruiert werden können, und solche Details sind
Sie leiten heute in Innsbruck eine Arbeitsgruppe eigentlich auch nicht relevant. Sehr wohl aufschlussreich
für Quartärforschung. Worum geht es dabei? wäre es jedoch herauszufinden, ob – um bei diesem Bei-
Geologinnen und Geologen sind Experten für „deep time“. spiel zu bleiben – die Jahrzehnte um 8200 v. Chr. beson-
Wir hantieren mit Zehner bis Hunderten Millionen Jahren ders kühl und niederschlagsreich waren, ob damals die
und erforschen die Erde zu Zeiten, als unser blauer Pla- Flüsse vermehrt über die Ufer traten oder ob die Zungen
net aufgrund der sich ständig ändernden Land-Meer-Ver- der Gletscher in den Hohen Tauern weit vorstießen. Mich
teilung noch ein völlig anderes Bild als heute bot. In der fasziniert, dass diese langfristigen Informationen selbst
Erdgeschichte heißt die jüngste Zeitstufe „Quartär“. Sie ist nach vielen tausenden Jahren an speziellen Orten (z.B. in
in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes: Das Quartär be- den feinen Sedimentlagen eines Sees) erhalten geblieben
gann erst vor 2,6 Millionen Jahren und ist damit die kürzeste sein können. Unter Zuhilfenahme moderner Methoden
Epoche der rund 4,6 Milliarden Jahre langen Erdgeschich- ist es uns oft möglich, diese Informationen festzumachen
te. Dennoch hat sich in dieser Zeit – Stichwort „Eiszeiten“ und gewissermaßen zu entziffern. Wir können damit quasi
– enorm viel getan. Was unsere Evolution angeht, sind wir in dem uralten Buch der Erdgeschichte lesen, ungeachtet
Menschen gewissermaßen „Kinder“ des Quartärs. dessen, dass viele Seiten fehlen, und dass so mancher Text
in einem Dialekt verfasst ist, den wir nur sehr lückenhaft
kennen.
Inwieweit lassen sich Rückschlüsse auf
zukünftige Klimaveränderungen ziehen?
Die Prognosen über die zukünftige Klimaentwicklung,
sowohl global als auch regional, beruhen auf hochkom-
plexen numerischen Simulationen, die u.a. die Dynamik
der Atmosphäre und des Ozeans detailliert anhand von
physikalischen Parametern abbilden. Die Klimadaten, die
wir und andere Forscher weltweit über vergangene Zeiten
ausheben, sind unverzichtbar, um die mit instrumentellen
Methoden gesammelten Messwerte der vergangenen rund
100 bis 150 Jahre in eine längerfristige zeitliche Dimension
zu stellen. Das heißt, dass mit Hilfe dieser „Paläoklimada-
ten“ (z.B. aus Seen, dem Ozean oder aus Höhlen) meteoro-
logische Messreihen weit in die Vergangenheit hinein ver-
längert werden können, wenn auch mit deutlich größeren
Unsicherheiten. Nur so können numerische Modelle auch
auf langen Zeitskalen überprüft werden. Anders formu-
liert: Gäbe es nur die meteorologischen Messreihen, wür-
den wohl nicht wenige auch heute noch an der Existenz
von Eiszeiten zweifeln, schließlich tauchen diese in diesen
Messwerten nirgendwo auf.
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