Page 7 - Journal 4 Mai 2019
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MENSCHEN & POLITIK

Andererseits sind Umwelt und Klima      reich beschränken und diese hier für      Was ist, abschließend gefragt, für
ein bisschen ein „Ja, eh“-Thema. Nie-   sich aus dem Weg schaffen können.         Sie als Politikwissenschaftler der
mand vertritt die Gegenposition, man    Doch das spielt es nun einmal nicht!      größte Pluspunkt der EU?
müsse mehr „Umweltschwein“ sein.        Umweltprobleme bis hin zum Ozon-          So sehr ich als Hochschullehrer der
Ob das Thema aber jenseits von „Ja,     loch etwa machen sicher nicht an          Verlockung zu erliegen drohe, hier
eh“ auch wirklich zum EU-Wahlmotiv      einer Staatsgrenze halt und eine Welt-    auf die Bildungsprogramme zu ver-
und Mobilisierungsfaktor wird, das      wirtschaftskrise, der Wunsch nach         weisen – objektiv ist dies natürlich
ist aus meiner Sicht noch mehr als un-  Migration oder gar Flucht und Asyl        im Laufe der Geschichte das Friedens-
sicher.                                 auch nicht.                               projekt. Die Vorläufer der EU wurden
                                                                                  nach einer langen Zeit blutiger Kriege
Die Manipulation von Wählern            Könnte der europaweit zunehmen-           der europäischen Nationalstaaten ge-
durch soziale Medien ist nicht erst     de Rechtspopulismus – inklusive           gründet, und um insbesondere den
seit Trumps Wahl zum US-Präsi-          der derzeit laufenden Bemühungen          deutsch-französischen Konflikt zu
denten hinlänglich bekannt. Orten       um ein Rechts-Außen-Bündnis von           befrieden. Nach dem Ende des Kalten
Sie Ähnliches auch im aktuellen         Seiten von Salvini & Co – zur Zer-        Krieges wurde der Ostblock, dem man
EU-Wahlkampf?                           reißprobe für die EU werden?              früher mit Atomraketen gegenüber-
Während wir hier miteinander reden,     Ja, durchaus! Natürlich ist es zulässig,  stand, in die EU integriert. Man kann
ist wenigstens noch kein systemati-     gegen die EU zu sein, natürlich kann      also ohne jede Übertreibung von einer
scher und großflächiger Einflussver-    man auch wie die FPÖ, die diesem          sensationellen Erfolgsgeschichte des
such bekannt. Die EU-Kommission         Bündnis angehören will, ein „Euro-        Friedensprojektes EU-ropa sprechen!
hat aber zum Beispiel vor Desinfor-     pa der Vaterländer“ als Rückkehr zur
mationskampagnen mit gefälschten        Rolle der Nationalstaaten wie im vo-      Interview: Elisabeth Hilgartner
Politikervideos gewarnt. Neue Tech-     rigen Jahrhundert wollen.
nologien machen es möglich, Videos      Über die Vor- und Nach-                                „Ich bin ein EU-Befürworter und
täuschend echt zu fälschen. Stimmen     teile dieses Standpunktes                            vor diesem Hintergrund habe ich
und Gesichter von Politikern könnten    könnte man ja sachlich                                politikwissenschaftlich und privat
in beliebige Zusammenhänge mon-         diskutieren. Doch ich sehe                         dieselben zwei Wünsche und das
tiert werden und so über soziale Me-    hier ein Grundsatzprob-                        unabhängig davon, welche Meinung
dien verbreitet werden. Damit kann      lem: Die EU ist laut ihren                         jemand zur EU vertritt: Erstens eine
man jedem jede beliebige Aussage in     Verträgen eine suprana-                        von gegenseitigem Respekt getragene
den Mund legen.                         tionale Organisation und
                                        nicht bloß international.                                Versachlichung der politischen
Italien, Europa, die Welt – derzeit     Supranationalität bedeu-                        Diskussion, in der allzu oft Halbwahr-
scheint vieles aus den Fugen zu         tet Überstaatlichkeit und                      heiten, Unterstellungen oder gar Belei-
geraten. Ist im Hinblick auf diese      ist dadurch gekennzeich-                       digungen vorkommen. Und zweitens,
veränderte welt-, aber auch inner-      net, dass die EU eine Ebe-
europäische Situation der bevorste-     ne über der Nation ist, also                      dass der Anteil jener, die gar keine
hende Wahlgang wichtiger als jener      über dem Nationalstaat                                    Meinung haben und die das
vor fünf Jahren?                        steht. Nur so kann es funk-
Hm. Da wäre ich vorsichtig. Was wäre    tionieren, dass EU-Ent-                                wichtige Thema EU ignorieren,
denn der korrekte wissenschaftli-       scheidungen auch befolgt                                              viel geringer wird!“
che Maßstab für so eine Bewertung,      werden. Dies abzulehnen,
welche Wahl am wichtigsten ist? Die     ist das Recht der Rechten,                                               Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier
EU-Wahlen 2019 sind sehr wichtig,       nur widerspricht es dem
keine Frage. Doch das waren sie auch    Wesen und den Verträgen
2009 und 2014, als es darum ging, ob    der EU. Als logische Kon-
ein wirtschaftlicher Bankrott mehre-    sequenz wäre also entwe- Foto: © A&W
rer Mitgliedsstaaten und eine totale    der ein Austritt oder die Abschaffung
Geldentwertung abgewendet werden        der jetzigen EU anzustreben. Wenn es
können.                                 also dazu kommt, dass in einem Par-
                                        lament eine größere Zahl von Parteien
Das Nationale gehört zur Geschich-      „nichts wie raus“ oder die EU de facto
te Europas, viele Kriege der Vergan-    abschaffen will, dann steht die Euro-
genheit stehen damit im Konnex.         päische Union wirklich vor einer Zer-
Warum ist das nationalstaatliche        reißprobe.
Denken, von dem so mancher glaub-
te, es überwunden zu haben, trotz-      Sehen Sie eine existenzielle Krise
dem wieder so stark da?                 der westlichen Demokratie?
Das hat sicher auch mit der Sehnsucht   Eine Existenzkrise nein, jedoch eine
nach einer überschaubaren Welt und      große Krise der Demokratiequalität
scheinbar einfachen Lösungen zu tun.    und der Qualität demokratischer Dis-
Man würde gerne Probleme auf Öster-     kussionen!

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