Page 6 - Journal 4 Juni 2018
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MENSCHEN & GLAUBE
sind auch längere Zeiten der Stille, also Ein- Leben ist sehr durchgetaktet, Beruf und Fami-
kehrtage, Exerzitien etc., diesbezüglich sehr lie halten viele auf Trab. Es gibt unglaublich
hilfreich. viele Informationen, und wir werden von un-
glaublich vielen Reizen überflutet. Fernsehen
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, die und Internet sind ständig verfügbar, das Han-
Sie dazu bewogen haben, sich in diese Rich- dy ist immer greifbar. Immer mehr Menschen
tung zu spezialisieren? merken, dass ihnen dies auf längere Sicht
Schon seit meiner Kindheit haben die Natur, nicht gut tut. Sie suchen bewusst nach Ruhe,
aber auch das Alleinsein auf mich eine beson- nach der Stille – und nach der Einfachheit.
dere Faszination ausgeübt. Ich bin oft mit dem Liegt darin letztendlich
Moped an die Drau gefahren, bin dort allein auch der tiefere Sinn der
gesessen und habe nur das Wasser beobachtet. „Tage der Achtsamkeit“?
Zu Beginn meines Theologiestudiums konnte Was wollen die Jesuiten den
ich dann über die Beschäftigung mit Literatur Menschen mit dieser Veran-
erfahren, dass Stille sehr viel mit Spiritualität staltungsreihe vermitteln?
zu tun hat. Ich habe für mich konkrete Wege Die christliche Spiritualität
in die Stille entwickelt und diese später auch und vor allem die Spirituali-
in meine Arbeit integriert. tät der Jesuiten bieten wert-
volle Elemente, um im Hams-
Woher rührt der aktuelle Trend hin zu Me- terrad des Alltags und im
ditation, Einkehrtagen und Ähnlichem? Meer der Zerstreuungen das
Wir leben heute in einer sehr lauten, hekti- Wesentliche nicht aus den
schen und vor allem auch überfüllten Zeit. Das Augen zu verlieren. Religion
ist eine Unterbrechung des
Alltags: im Gebet, im Got-
tesdienst, in den Festen des
Kirchenjahres. Sie lädt ein,
innezuhalten und sich zu
orientieren. Die jesuitische
Tradition kennt den Begriff
des „contemplativus in ac-
tione“: Mitten in der Tätigkeit kontemplativ zu
sein – aktiv und doch gesammelt – geschäftig
und doch in sich ruhend und fokussiert. Das
ist ein hohes Ziel. Die „Tage der Achtsamkeit“
sind unser Angebot, um den eigenen Wurzeln
wieder neu nachzugehen und sich der Frage
zu stellen „Woraus und wofür lebe ich – und
wie will ich leben?“
Danke für das Gespräch!
Text: Raimund Mühlburger
Fotos: Martin Lugger
Der Jesuitenorden ist die größte internationale Ge- der Welt von heute ein. Aufgabenfelder des Ordens
meinschaft von Männern in der römisch-katholi- sind außerdem traditionell auch Schulen, Universitä-
schen Kirche. Gründer der „Gesellschaft Jesu“, so die ten und die Priesterausbildung. Jesuiten gelten, nicht
offizielle Bezeichnung in Anlehnung an den latei- zuletzt aufgrund ihrer exzellenten Ausbildung und
nischen Namen „Societas Jesu“ (SJ), ist der Spanier ihrer strengen geistlichen Übungen (Exerzitien), als
Ignatius von Loyola (1491-1556). Jesuiten sind keine intellektuelle Elite und Avantgarde des Katholizis-
Mönche; sie führen kein Klosterleben und tragen kei- mus. Ihre römische Hochschule, die „Gregoriana“, ist
ne Ordenskleidung. Neben Armut, Ehelosigkeit und die renommierteste unter den Päpstlichen Universitä-
Gehorsam verpflichten sie sich zu besonderem Ge- ten. Die Leitung der Gesellschaft Jesu, die mit welt-
horsam gegenüber dem Papst. Sie setzen sich für den weit rund 16.000 Mitgliedern in 125 Ländern vertreten
christlichen Glauben und für soziale Gerechtigkeit in ist, obliegt einem Ordensgeneral mit Sitz in Rom.
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