Page 5 - Journal 4 Juni 2018
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MENSCHEN & GLAUBE
achtet, immer und überall da – wir können sie
zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedli-
chen Orten wahrnehmen.
Kann man Stille in unserer lauten Welt wirk-
lich noch finden?
Lärm, Geräusche, Stimmen – äußere wie in-
nere – hören wir ständig. Der Stille muss man
sich zuwenden und sich ihrer bewusst werden.
Dies gelingt in der freien Natur, in einem stillen
Raum oder beim Atmen. Mein Tipp für alle, die
die Stille suchen: Unternehmen Sie z.B. einen
Spaziergang und versuchen Sie den Wind in den
Bäumen, die Vogelstimmen und vielleicht auch
den von weitem hörbaren Straßenlärm wahr-
zunehmen. Und dann entscheiden Sie sich be-
wusst, auf die Stille zu lauschen, die zwischen,
unter oder hinter all dem hörbar ist. Oder gehen
Sie in eine Kirche, setzen Sie sich hin und ma-
chen Sie nichts anderes, als sich auf die Stille
dieses sakralen Raumes einzulassen.
Wie kann es gelingen, in dieser Stille zu
verweilen?
Achten Sie auf die Stille und richten Sie Ihre
ganze Aufmerksamkeit darauf. Und dann ist
da noch Ihr Atem. Haben Sie schon einmal be-
wusst geatmet, Ihr Aus- und Ihr Einatmen und
die Pausen dazwischen wahrgenommen? Ver-
suchen Sie sich auf den Zeitpunkt zu konzentrie-
ren, wenn scheinbar nichts ist, nichts passiert –
wenn es ganz still ist. Anfangs mag Ihnen dies
vielleicht ungewohnt erscheinen. Probieren Sie
es aus! Sie werden erstaunt sein, was geschieht.
Vielleicht entdecken Sie das Faszinierende, das
Anziehende, das Locken der Stille…
Herr Provinzial, was verbinden Sie persönlich Wenn es äußerlich still ist, wird es oft in-
mit dem Begriff „Stille“? nerlich laut. Was kann man tun, um dieses
Bernhard Bürgler SJ: Mit Stille kann man vieles „Kopfkino“ loszuwerden?
assoziieren: Einsamkeit oder Langeweile, etwas Diesen Zustand kennen die meisten von uns.
Unangenehmes oder Unheimliches oder etwas, Plötzlich kommt einem in den Sinn, dass man
das schwer oder nicht auszuhalten ist, weil etwas vergessen hat. Oder es taucht ein interes-
doch eigentlich etwas passieren oder jemand et- santer Gedanke auf oder man denkt an jeman-
was sagen müsste. Ich persönlich erachte Stille den, mit dem man vor Kurzem einen Konflikt
als etwas Schönes, Wohltuendes und Kostbares. hatte. Die Gedanken gehen hin und her. In einer
Sie ist der Anfang und das Ende von allem – derartigen Situation gilt es, die Aufmerksam-
vom Leben in seiner Gesamtheit. Vor und nach keit der Stille zuzuwenden. Wenn wir dies be-
jedem Satz, vor und nach jedem Ton ist es für wusst und entschieden tun, kann das, was uns
einen kurzen Moment still. Selbst beim Atmen beschäftigt und aufgewühlt hat, wieder in den
spielt Stille eine Rolle. Sie ist, wenn man darauf Hintergrund treten. Alles, was uns durch Kopf,
Herz und Bauch geht, lassen wir einfach kom-
men und gehen, vorüberziehen, ohne uns in
diesem Moment weiter damit zu beschäftigen.
Kann dies auf Anhieb gelingen?
Schritte in die Stille haben sicher viel mit Übung
zu tun. Wichtig ist es, sich im Trubel des All-
tags Unterbrechungen zu schaffen und sprich-
wörtlich einen Raum für die Stille zu öffnen. Je
öfter man dies tut, je mehr man dies bewusst
praktiziert, desto besser gelingt es. Natürlich
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