Page 17 - Journal 9 Oktober 2018
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MENSCHEN & GESCHICHTE

geblieben. Deren Verteidigung und Verteilung
musste ebenso übernommen werden wie die
zur Landplage ausartenden 1.500 Pferde eines
Pferdetransports, welche vielfach geschlachtet
werden mussten. Exekutiert wurden die Maß-
nahmen nicht nur durch eine aus Sexten kom-
mende 100 Mann starke Linzer Sappeur-Kompa-
nie, sondern auch durch die später in Volkswehr
umbenannte Lienzer Bürgerwehr.

Parallel dazu rückten italienische Besatzungs-   derat wurde außerhalb der Stadt aber rundweg               Der Lienzer
truppen im Bezirk ein und nahmen nicht nur       abgelehnt. Aus dem Isel- und Pustertal, aber           Nationalrat im
die damals noch Lienz zugehörigen Gemeinden      auch direkt von der Landesgrenze in Nikolsdorf    November 1918.
Wahlen, Winnebach, Vierschach, Innichberg,       hörte man ein klares „Tirol isch lei oans“ und      Vorne sitzend die
Innichen und Sexten in Besitz, sondern stie-     verwies in Leserbriefen darauf, dass man sich      führenden Persön-
ßen bis Sillian und Tassenbach vor. Im Taumel    in der Region schon 400 Jahre zuvor, als Maxi-       lichkeiten: Bgm.
des Sieges gab es vielfach Probleme mit den      milian die Grafschaft Görz aufteilte, gegen eine  Johann Oberhuber,
Besatzern: Diebstahl, Abschuss von Leuchtra-     Angliederung an Kärnten ausgesprochen hatte.          Oberst Jung, LA
keten, betrunkenes Lärmen, Schmuggel. Eine                                                           Gottfried Haßler,
Beschwerde beim italienischen Abschnittskom-                                                        Heizhausvorstand
mandanten hatte Ende 1919 Erfolg. Geschmug-                                                        Heinrich Suske, LA
gelt wurde an der neuen Grenze aber weiterhin,                                                     Franz Henggi, Alt-
diesmal jedoch von den Einheimischen – und                                                           Bgm. Josef Anton
das weit ins 20. Jahrhundert hinein.
Als sich die Wirren der ersten Wochen legten,                                                                Rohracher.
rückte eine andere Frage in den Vordergrund:                                                       (Fotografin: Maria
was soll mit dem Bezirk geschehen? Noch                                                             Egger; Sammlung

                                                             Einmal noch, im Oktober 1920,             Stadtgemeinde
                                                                                                          Lienz, Archiv
                                                             flackerten separatistische Ge-
                                                                                                      Museum Schloss
                                                             danken auf, als Anhänger des                  Bruck – TAP)

                                                             im Wahlkampf befindlichen                journal 17

                                                             Tiroler Landeshauptmanns

                                                             Josef Schraffl den Anschluss

                                                             des Bezirks an Deutschland

                                                             als „Deutscher Gau Osttirol“

                                                             forderten. Die Idee hielt sich

                                                             nicht einmal einen Monat,

                                                             zeigt jedoch, dass sich für den

                                                             verkleinerten Bezirk der neue

                                                             Name „Osttirol“ eingebürgert

Eine Grenze mitten im Bezirk: der Zollgrenzbalken Winnebach  hatte. Osttirol war das, was
um 1930. (Fotograf: Adolf Stefsky; Sammlung Marktgemeinde    von „Deutsch-Südtirol“ bei
Sillian – TAP)                                               Österreich verblieben war –
                                                             mit all den Problemen in Wirt-

                                                             schaft, Verkehr und auch im

immer wollte man in Tirol die Abtrennung Sozialleben nach der Abtrennung vom eigentli-

Deutsch-Südtirols nicht wahrhaben und ver- chen Hinterland, dem westlichen Pustertal.

suchte, sich in den Friedensverhandlungen als

unabhängigen Freistaat Tirol nach Schweizer In den Herzen und Köpfen verankern konnte

Vorbild zu positionieren, um die Landeseinheit sich der einst touristische Begriff Osttirol wohl

zumindest bis zur Salurner Klause zu gewähr- erst durch die identitätsstiftende Einweihung

leisten. Viele andere Kräfte – Christlichkonser- des Bezirks-Kriegerdenkmals mit den eindrück-

vative, Sozialdemokraten wie auch Deutschna- lichen Fresken Albin Egger-Lienz‘ und die um-

tionale – sahen die einzige Überlebenschance fangreiche Festschrift „Osttirol“ im Jahr 1925.

in einem Anschluss an Deutschland.               Mit dem Verlust Südtirols hatte man noch lange

                                                 nicht abgeschlossen, doch alltägliche Fragen

Dieser Idee entstammt auch der Vorschlag aus über die Zukunft übernahmen langsam die

Lienz, sich mit dem Bezirk Spittal und dem Ge- Oberhand.

richt Kötschach an Salzburg anzugliedern und

gemeinsam dem bayerischen Freistaat beizutre-

ten. Dieses Gedankenspiel im Lienzer Gemein-     Text: Stefan Weis, Fotos: TAP
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