Page 13 - Journal 7 September 2016
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MENSCHEN & KULTURGESCHICHTE
Während sich vielbesuchte Aus- als bedeutsame Exponate aus
stellungen in den Vorjahren mit dem medizinischen Bereich nen-
der Kunst des Flickens und Wie- nen. „Es war immer schon wich-
derverwertens, der Handfertig- tig zu wissen, wie man Schärfe
keit und dem Erfindergeist der erzeugen und dauerhaft erhalten
Bäuerinnen und Bauern im his- kann bzw. welche Materialien
torischen Tirol (2014) bzw. mit der eine möglichst lang anhaltende
Kulturpflanze Mohn, ihrer Bedeu- Schärfe garantieren“, so der Kul-
tung in Mythologie, Volksmedi- turwissenschaftler.
zin, Speise und Sachkultur Tirols
(2015) beschäftigten, befasst Dass es sich bei „Schneid“ um
sich das aktuelle Museumspro- ein in jeder Hinsicht „scharfes“
jekt in der Brunnenburg mit der Thema handelt, belegt auch die
„Schneid“, also mit der Kultur- Tatsache, dass aktuell immer
und Technikgeschichte scharfer mehr Anthropologen erkennen,
Klingen in Tirol. Der gebürtige dass nicht nur die Entdeckung
Abfaltersbacher Dr. Andreas Foto: © A. Rauchegger des Feuers, sondern auch die
Rauchegger ist seit Jahren an der Fähigkeit, Nahrungsmittel mit
Vorbereitung und Ausarbeitung scharfen Klingen zu zerkleinern,
der musealen Präsentationen auf einen entscheidenden Meilen-
der Brunnenburg beteiligt. Bei stein in der Evolutionsgeschichte
„Schneid“ ließ er auch Beiträge Umnutzung eines Wetzsteinkumpfes der Menschheit darstellte. Schon
aus Nord- und Osttirol sowie Vor- auf der Wurzalm (Außervillgraten) die alten Ägypter fertigten chir-
arlberg einfließen. „Die Kulturge- urgische Messer aus Kupfer, und
schichte der Schärfe bzw. schar- Ötzi, der „Mann aus dem Eis“,
fer Klingen ist untrennbar mit der Evolutionsgeschichte benutzte nachweislich durch Quarzit retuschierte Feuer-
der Menschheit verbunden. Fossile Knochen mit Schnitt- steinklingen als Messer und Pfeilspitzen. Eine einschnei-
spuren und scharfkantige Geröllgeräte gehören zu den äl- dende Wende in der Geschichte der Schärfe brachte die
testen Zeugnissen und reichen mehr als 2,5 Mio. Jahre zu- Eisenzeit, in der eine bis dahin nie dagewesene Vielfalt an
rück“, erklärt er. Ziel des Projektes „Schneid“ sei es, die Schneide-Utensilien hergestellt werden konnte. „Die Sess-
Bedeutung von Gegenständen in den Fokus zu stellen, mit haftwerdung des Menschen wäre ohne Schneidegeräte
Foto: © Hubert Wurzer Foto: © Archiv Rudolf Holzer
Pflege bäuerlicher Geräte in Außervillgraten: Bei der Arbeit: ein Scherenschleifer
im Bild Hans Obwurzer in Sexten im Jahr 1962
denen man schneiden, zerteilen, schaben oder auch krat- nicht möglich gewesen. Die Weiterentwicklung dieser Ge-
zen kann. Sense und Sichel gelten als Paradebeispiele für räte hatte einen wesentlichen Einfluss auf die Bearbeitung
die bäuerliche „Schneid“ und sind eng mit der Kunst und der Böden und damit auf die Fruchtbarkeit. Mit Sensen,
Sachkultur des Dengelns, Schleifens und Wetzens verbun- Sicheln und Co. ging auch ein kultureller Aufschwung ein-
den. Aderlassgeräte oder Skalpelle könne man hingegen her“, so Rauchegger.
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